VERBAND BERLINER VERWALTUNGSJURISTEN e.V.

Leserbrief im Berliner Tagesspiegel, 22. Oktober 2020

In den letzten Wochen hat der Tagesspiegel in verschiedenen Gastbeiträgen unterschiedlichste Stimmen zu einer Verwaltungsmodernisierung in Berlin zu Worte kommen lassen. Beklagt wurden neben Steuerungsdefiziten insbesondere die vielfach unklare Aufgabenverteilung, streitige Verantwortlichkeiten bei gesamtstädtischen und sonstigen kommunalen Aufgaben, sich überlagernde Zuständigkeiten und zeitraubende Beteiligungsverfahren. Häufig unbeachtet blieb allerdings, dass eine ordnungsgemäße Erledigung der Verwaltungsaufgaben und die zweckentsprechende und gleichartige Ausübung des Verwaltungsermessens auch auf Grund der unterschiedlichen politischen Vorstellungen einzelner Bezirksämter bzw. ihrer Mitglieder nicht immer gewährleistet sind.

Die von Staatssekretär Nägele, zwei BezirksbürgermeisterInnen und einem Vertreter der FDP in ihren Gastbeiträgen geforderte größere politische Unabhängigkeit der Bezirke gegenüber dem Senat sowie der Ruf nach einem politischen Bezirksamt würde diese Problematik nur noch verschärfen. Dies ist in einer Großstadt und Einheitsgemeinde, wie Berlin, nicht zu rechtfertigen. Denn unsere Stadtgesellschaft hat einen Anspruch auf grundsätzlich einheitliche Lebensverhältnisse in der gesamten Stadt, egal in welchem Bezirk wir gerade leben oder arbeiten.

Vor diesem Hintergrund bedarf es für eine Verwaltungsmodernisierung nicht nur neuer Steuerungsmodelle und einzelner Rechtsanpassungen, sondern einer grundlegenden Neuregelung des Zusammenwirkens von Senat und Bezirken sowie der inneren Bezirksverfassung.

Kern dieser Neureglung muss die klare und eindeutige Abgrenzung der vom Senat wahrzunehmenden gesamtstädtischen Aufgaben und der bezirklichen Aufgaben sein. Abgesehen von den ministeriellen Leitungs- und Steuerungsaufgaben, die allein Sache des Senats sind, bedarf es einer detaillierten Aufgabenbeschreibung und -verteilung im Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz, verbunden mit einem verbindlichen Konfliktlösungsmechanismus. Anders als Staatssekretär Nägele und seine Unterstützer meinen, können gemeinsame Zielvereinbarungen gesetzlich normierte Verantwortlichkeiten nicht ersetzen. Zudem erfordert ihre Aushandlung, Kontrolle und Durchsetzung bei 12 Bezirken und einer Vielzahl von Aufgaben einen kaum vertretbaren Verwaltungsaufwand mit erheblichem zusätzlichen Personalbedarf.

Stattdessen sollte die im Zuge der Verwaltungsreform der neunziger Jahre weitgehend abgeschaffte Fachaufsicht des Senats über die Bezirksämter schnellstmöglich wieder eingeführt werden. Sie kann besser und insbesondere zielgenauer als pauschale Zielvereinbarungen eine einheitliche und ordnungsgemäße Erledigung der Aufgaben und die zweckentsprechende Handhabung des Verwaltungsermessens in den politisch oft sehr heterogenen Bezirksverwaltungen gewährleisten. Dies ist im Interesse der gebotenen gleichartigen Lebensverhältnisse in ganz Berlin unverzichtbar.

Im Interesse grundsätzlich gleichartiger Lebensverhältnisse und klarer Zuständigkeiten in einer Stadt muss auch das erhebliche und nur allzu berechtigte Interesse der Bürger an einer in ganz Berlin einheitlichen und transparenten Verwaltungsstruktur berücksichtigt werden. Dazu zählt insbesondere eine gesetzlich festgelegte und verbindliche einheitliche Struktur der Bezirksämter, Ihrer Abteilungen und Fachbereiche (Ämter), verbunden mit einer einheitlichen Benennung der Abteilungen. Nur so können klare und für den Bürger transparente Zuständigkeiten sichergestellt werden.

Der aktuelle Ruf nach Stärkung der Bezirksbürgermeister durch Direktwahl und Eingriffsrechte ist nur allzu berechtigt. Dass die Bezirksstadträte ihre Abteilungen (Geschäftsbereiche) allein und in eigener Verantwortung führen, ohne dass es ein Eingriffsrecht des Bezirksbürgermeisters in Bezug auf die ordnungsgemäße und zweckentsprechende Aufgabenerledigung gibt, ist insbesondere angesichts der politisch sehr vielfältigen Zusammensetzung der Bezirksämter im Interesse einer leistungsfähigen und an Recht und Gesetz orientierten Verwaltung nicht mehr zu vertreten. Dies gilt umso mehr angesichts der im bundesweiten Vergleich extrem geringen Anforderungen an die Qualifikation der Berliner Bezirksamtsmitglieder, die auf Grund der Komplexität der Aufgaben und den Herausforderungen dieser Stadt mit dem Wunsch nach einer leistungsfähigen und effizienten Bezirksverwaltung und einem erfolgreichen Stadtmanagement nicht zu vereinbaren sind. Die gebotene Stärkung der Bezirksbürgermeister könnte durch ihre Direktwahl und ein im Gesetz verankertes Eingriffs- und Durchgriffsrecht gegenüber den Bezirksstadträten erreicht werden.

In der Tat erwägenswert ist in diesem Zusammenhang die vorgeschlagene Einführung von Elementen der in fast allen übrigen Bundesländern bestehenden und bewährten sog. Ratsverfassung auf der Ebene der Bezirke. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Stadträte nach dem Leistungsprinzip auf der Grundlage von Ausschreibungen mit aufgabenspezifischen Leistungsanforderungen ausgewählt werden. Dies führt entgegen der Auffassung von Staatssekretär Nägele und seinen Unterstützern nicht zwangsläufig zu einem politischen Bezirksamt und der damit verbundenen weiteren Politisierung der Verwaltung. Denn das Vorschlagsrecht für die Mitglieder des Bezirksamts könnte auch bei diesem Modell weiterhin nach dem d`Hondtschen Verfahren bei den Fraktionen der Bezirksverordnetenversammlung liegen. Damit würde vermieden, dass das in dem Gastbeitrag von Penkert/Sonnewald beschriebene Chaos der Berliner Verwaltung infolge zunehmender Politisierung und Verselbständigung der Bezirke zum Dauerzustand wird.

Wolfgang Hurnik